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SELBSTREFLEXION

WIE ICH AUF MEINEM LETZTEN STAND DES IRRTUMS BLEIBE

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Fokus, Disziplin, Leidenschaft, Ausdauer sind traditionelle Werte und schöne Worte, ohne Selbstreflexion jedoch nur Buchstaben. Auf der schmalen Linie zwischen Selbstzu-friedenheit und Selbstzweifeln liegen lichte Momente der Selbsterkenntnis. Über mich selbst nachzudenken, mein eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu analysieren ist nie etwas Absolutes, sondern immer nur ein letzter Stand des Irrtums. „Die Wahrheit ist selten so oder so. Meist ist sie so und so“, sagte schon Charlie Chaplins Tochter Geraldine, und der Philosoph Heinz von Foerster bezeichnete Wahr-heit überhaupt als „Erfindung eines Lügners“. Die eigene Widersprüchlichkeit macht Motivforschung im eigenen Kopf zu einem Balanceakt auf beweglichem Untergrund.

Selbstreflexion ist zudem eines: anstrengend! Doch wir kommen um dieses funktionale Training der eigenen Persönlichkeit nicht herum. Es braucht Zeit, Hingabe und schonungslose Ehrlichkeit. Mich kostet es Überwindung, Entscheidungen, die ich einmal getroffen habe, neu zu bewerten. Äußere Bedingungen und innere Einstellungen sind in einem dynamischen Prozess, und deshalb ist das Ergebnis einer Selbstreflexion oft: „Ich muss etwas verändern.“ Das ist bei der Kündigung eines Abos noch einfach. Doch je mehr sich faktische Komponenten mit emotionalen vermischen und eigene Entscheidungen auch andere Menschen betreffen, desto herausfordernder werden Diskussionen, die man mit sich führt. Desto komplexer sind auch die Hochrechnungen, welche Entscheidungen was bei wem auslösen werden. Da kann man sich leicht verirren, und dann bleibt oft nur die Wahl zwischen Not und Elend, zwischen handlungslosen Gedanken oder gedankenlosem Handeln – beides kommt nicht gut an, am wenigsten bei einem selbst.

Selbstreflexion braucht – einmal mehr – Fokus, Disziplin, die Leidenschaft, sich selbst herauszufordern – und genügend Ausdauer, damit sie Routine wird, wie der obligatorische Blick in den Seiten- und Rückspiegel beim Autofahren. Wenn ich Maßnahmen setze, baue ich immer eine Feed-backschleife mit mir selbst ein: Will ich das noch? Bin ich auf dem richtigen Weg? Kann ich etwas besser, neu oder anders machen? Muss ich etwas loslassen? Zwei Dinge habe ich in dem Zusammenhang auch gelernt: Es ist nicht immer der richtige Zeitpunkt, um mit mir selbst über mich zu reden. Außerdem kann es auch zu viel des Guten sein. Wenn die Aufmerksamkeit nur um das eigene Denken, Fühlen und Handeln kreist, wird es kontraproduktiv, und man endet in der Paralyse durch Analyse. Weshalb ich mit wichtigen Fragen, die mich beschäftigen, Radfahren gehe. Meine Erfahrung: Lösungen, nach denen ich am Schreib-tisch vergeblich suche, finden mich oft wie von selbst beim Sport in der freien Natur, im monotonen Alphazustand und dem leisen Surren der Kette meines Rennrads.

Take-away: Menschen bei Entscheidungen einbeziehen 

Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, das Selbst-bild eine schemenhafte Skizze. Von dem Stereotyp des Mannes, der in der Einsamkeit alles mit sich selbst ausmacht, habe ich mich im Laufe meines Lebens verabschie-det. Je wichtiger die Entscheidungen sind, die ich treffen muss, desto mehr beziehe ich Menschen meines Vertrauens mit ein: meine Frau, meine Kinder, meine Freunde, Kolleginnen und Kollegen in der Firma, Geschäftspartner. Auch Selbst reflexion gelingt besser, wenn man für ehrliche Rückmeldungen und konstruktive Kritik offen bleibt und sie integriert. Das „Sicherheitshalber-Ja-sagen-System“, das in vielen Unternehmen üblich ist, bringt einen nicht weiter. Nur durch schonungslose Ehrlichkeit in der Sache kommt man zum gewünschten Erfolg.

Unterschrift_GW_Vektor

– Gottfried Wurpes-