WIESO ES SO BEREICHERND IST, DAS GUTE IM FLUSS ZU HALTEN
Ich bin Geschäftsmann aus Leidenschaft. Verhandeln gehört dazu und selten, aber doch: Feilschen. Um Rechte, um Zeit, um Geld. Das mag paradox klingen, gerade im Feilschen liegt viel Potenzial für Großzügigkeit. Verhandeln ist eine uralte Kulturtechnik, manchmal ein Strategiespiel, immer eine Choreografie aus Argumenten – kunstvollen oder linkischen, je nachdem. In der Wirtschaft ist um dieses Thema eine ganze Seminarindustrie entstan-den: Sie verkauft Werkzeugkisten für richtiges Verhandeln. Mit etwas Übung weiß man, wer am Besprechungstisch welches Werkzeug verwendet. Es gibt sie für jede Situation, aber es gibt, um in diesem Bild zu bleiben, auch das eine „Lea therman-Tool“, das alles kann und immer funktioniert: Großzügigkeit.
Wunder bewirkt sie schon im Kleinen: Geht es um Geld, bezahlt man Rechnungen, wenn man sie bekommt und nicht erst bei deren Fälligkeit. Geht es um Zeit, insistiert man nicht, sondern verschiebt Termine nach hinten, damit alle wieder Luft zum Atmen haben. Geht es um Rechte, nimmt man für sich nur in Anspruch, was essenziell ist, und verzichtet auf Justament-Standpunkte. Ob im privaten oder beruflichen Kontext: Großzügigkeit verbessert Beziehungen und das Leben ganz generell.
Ich bin kein Metaphysiker, doch bei der Großzügigkeit glaube ich an ein großes Energiespiel: „Halte das Gute im Fluss, und du wirst nie von ihm abgeschnitten sein.“ Ich bin ein Geizkragen, was meine Zeit anbelangt, und nehme Einladungen selten wahr. Wenn es Menschen allerdings wirklich wichtig ist, dass ich komme, dann komme ich auch. Ähnlich ist’s, wenn ich um Rat gebeten werde: Ich nehme mir Zeit und halte nichts zurück – und auf die eine oder andere Art gleicht sich das irgendwann aus. Oder auch nicht: Großzügigkeit kennzeichnet sich dadurch, dass sie eben kein Gegengeschäft ist – und sich die Frage „Was habe ich davon?“ nicht stellt.
Einem weltberühmten Fußballstar habe ich, als er verletzt war, einige Technogym-Geräte für seine private Therapie organisiert – und ihm beiläufig erzählt, mein Sohn Kilian sei ein Fan von ihm. Als Kilian Geburtstag hatte, bekam er von diesem Superstar eine persönliche Videobotschaft, diesen Glücksmoment wird er sein Leben lang nicht vergessen.
Take-away: Das Gute weiterfließen lassen
Wenn sie nicht aus Berechnung oder abgehobener Gönner-haftigkeit, sondern persönlicher Bescheidenheit erwächst, setzt Großzügigkeit Empathie voraus. Dass wir uns in andere hineinversetzen können, erklärt, warum uns schenken mindestens genauso glücklich macht, wie beschenkt zu werden. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, wo Großzügigkeit im Gehirn sitzt: ziemlich genau in der Mitte.
– Gottfried Wurpes-