WIE ICH DER CHEF IN MEINEM EIGENEN KOPF BLEIBE
Auf die Gefahr hin, dass dies altmodisch wirkt: Müsste ich eine Eigenschaft benennen, der ich in meinem Leben am meisten verdanke, dann ist es: Disziplin. Vielleicht ist sie sogar meine Kernkompetenz. Disziplin hat kein gutes Image, weil sie uns an nörgelnde Erziehungsberechtigte, cholerische Chefs oder autoritäre Dogmen erinnert. Es braucht nicht einmal ein befehlendes Gegenüber, vielen reicht allein das Wort, um sich selbst über dessen Gegenteil – die Disziplinlosigkeit – niederzumachen. In solchen Gesprächen werfe ich gerne ein: „Disziplinlosigkeit braucht eine Menge Disziplin.“ Dieses vermeintliche Paradoxon birgt einen wahren Kern: Es erfordert viel Aufwand, um Undiszipliniertheit in allen Lebensbereichen zu rechtfertigen und zu beschönigen – etwa durch eine Ausrede wie „Was soll ich machen: Ich bin leider so undiszipliniert!“. Da erscheint Disziplin vergleichsweise als der Weg des geringsten Widerstandes.
Ihre ursprüngliche, lateinische Wortbedeutung ist: Lehre, Unterweisung, Schule. Und, klar: Zucht, blinden Gehor-sam, Unterwerfung, all die negativen Assoziationen dieses Begriffs, will niemand. Doch den Rest? Ist die Kunst, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, nicht eine lebenslange Lehre und Schule? Niemand wird diszipliniert oder undiszipliniert geboren. Disziplin ist keine Frage von Talent, sondern die Konsequenz von Entscheidungen, Handlungen und deren Wiederholung. Erfolgreiche Menschen eint, dass Disziplin ihre Schlüsselqualifikation für fast alles im Leben ist. Diese Beobachtung habe ich in der Begegnung mit vielen von ihnen gemacht.
Disziplin beginnt bekanntlich im eigenen Kopf: Laut Studien denken wir pro Tag 60.000 Gedanken. Negative, ängstliche und pessimistische sind deshalb in der Überzahl, weil eine Zellstruktur namens Amygdala in unserem Hirn ihren Job so diszipliniert erledigt. Die kleinste Alarmanlage der Welt stuft als gefährlich ein, was sie nicht kennt – auch sorgenvolle Hirngespinste, die wir uns ausdenken. Deshalb ist die wichtigste Übung, der Chef im eigenen Kopf zu bleiben. „Mindsetting“ ist der neudeutsche Begriff für die Möglichkeit, das eigene Denken proaktiv und positiv zu beeinflus-sen. Die oft propagierte Haltung „Raus aus der Opferfalle!“ steht und fällt mit dieser Fähigkeit: Sich selbst als willfäh-rigen Spielball der Umstände zu betrachten macht auf die Dauer sicher nicht glücklich.
Bin ich immer motiviert? Nein! Nach einem lustigen Abend mit Weißwein und ein, zwei Metaxa Sour ist meine Begeisterung überschaubar, wenn um 5.15 Uhr der Wecker läutet. Bin ich immer diszipliniert? Ja! Erst recht, wenn ich den Widerwillen überwinden muss, etwas zu tun, was ich mir vorgenommen habe und für richtig erachte: Morgensport etwa, und wenn es nur eine Stunde am Ergometer ist. Das E-Mail-Postfach am Ende eines Tages aufräumen, und wenn es bis Mitternacht dauert. Dinge an den Platz legen, von dem ich sie genommen habe. Keine Newsletter lesen, die für mich irrelevant sind. Nicht mehr Zeit im Internet verbringen als unbedingt nötig. Rückrufe innerhalb von 24 Stunden erledigen, auch wenn die Liste noch so lang ist. Es sind einfache, selbstverständliche Dinge, die ich eisern befolge. Die Konsequenz meiner Disziplin ist, dass sie mir enorm viel Zeit spart. Anders wäre es für mich undenkbar, Familie, Firma, Freunde, Reisen und wöchentlich zwanzig Stunden Sport in meinem Leben unterzukriegen.
Take-away: Routinen schaffen
Für mich schafft Disziplin Struktur, und Struktur schafft Ordnung. Innen wie außen. Es ist eine Frustfalle, Disziplin als persönliche Einschränkung zu verstehen. In Wahrheit ist sie ein Schlüssel zu mehr Freiheit. Ich mache mir einen Sport daraus, alltägliches Tun in automatisierte Abläufe zu übersetzen, damit ich mit Fragen wie „Wo hab ich jetzt wieder meinen Autoschlüssel?“ oder „Auf welchem Park-deck parke ich?“ weder Energie noch Zeit vergeude. Ich präge mir diese Routinen ein, indem ich sie ein paar Mal hintereinander wiederhole und visualisiere – auf diese Weise spare ich mir eine Menge sinnlose Suchaktionen und Umwege. Aus meiner Sicht ist Disziplin das Fundament jeglichen Erfolgs.
– Gottfried Wurpes-